Reizblase und Dranginkontinenz
Schätzungsweise leiden mehrere Millionen Menschen an einer überaktiven Blase, im Volksmund auch Reizblase genannt. Die Prävalenz liegt für Frauen und Männer jeweils bei circa 17%, wobei die Wahrscheinlichkeit an einer überaktiven Blase/Dranginkontinenz zu leiden mit zunehmendem Alter steigt.
Die überaktive Blase hat häufig eine deutliche Einschränkung der Lebensqualität der Betroffenen zur Folge. Das Leben wird quasi nach der Blase und der nächstverfügbaren Toilette ausgerichtet. Vor allem bei älteren Patienten sind Stürze mit Verletzungen inklusive Frakturen auf dem übereilten Weg zur Toilette nicht selten. Diese können eine reduzierte Mobilität und möglicherwiese auch eine Heimeinweisung zur Folge haben.
Ein wesentliches Ziel der Diagnostik ist der Ausschluss anderer Erkrankungen, die ein ähnliches Beschwerdebild haben, wie z.B. Harnwegsinfektion, Blasentumor, Blasensenkung bei der Frau, Prostatavergrößerung, Blasensteine, tiefe Harnleitersteine und Nebenwirkung von Medikamenten (z.B. Diuretika).
Folgende Therapieoptionen stehen zur Verfügung:
Konservative Therapie
Grundlage der konservativen Therapie ist eine Verhaltenstherapie, dabei werden folgende Verhaltensänderungen empfohlen:
• Mind. 2h vor dem Schlafengehen keine Flüssigkeitsaufnahme
• Trinkmenge gleichmäßig über Tag verteilen
• Reduktion der Trinkmenge (Reduktion um 25% senkt Drang-Symptome signifikant) bei erhöhter Trinkmenge
• Reizstoffe meiden (z.B. Nikotin, Pfeffer, Chili, scharfe Gewürze, Zitrusfrüchte)
• Verstopfung meiden
Zusätzlich beinhaltet die Verhaltenstherapie ein Blasentraining. Hierbei sollen zu kurze Miktionsintervalle durch ein aktives Unterdrücken des Harndranges und aktives Hinauszögern des Wasserlassens verlängert werden.
Darüber hinaus kann mit Hilfe von Beckenbodentraining ggf. in Kombination mit Elektrostimulation eine Beckenbodenüberaktivität positiv beeinflusst werden und damit reflektorisch zu einer Linderung der Drangbeschwerden führen.
Medikamentöse und operative Therapieoptionen bei der Frau
Die lokale Hormonbehandlung der Scheide sollte fester Bestandteil der Therapie der überaktiven Blase bei Frauen sein, da durch diese nachweisbar Drangbeschwerden reduziert werden können.
Sogenannte Anticholinergika stellen den Hauptpfeiler der medikamentösen Therapie der überaktiven Blase mit und ohne Dranginkontinenz dar und werden zur medikamentösen Firstline-Therapie empfohlen. Zu den häufigsten Nebenwirkungen der Anticholinergika zählen Mundtrockenheit, Verstopfung, Verschwommenes Sehen, Tachykardie, Augeninnendruckerhöhung und Übelkeit. Um die Wirkung einer anticholinergen Therapie suffizient beurteilen zu können, ist eine regelmäßige Einnahme über 4-6 Wochen notwendig. Bei nicht ausreichender Wirkung oder bei Auftreten von Nebenwirkungen wird eine Dosissteigerung bzw. ein Wechsel des Anticholinergikums empfohlen.
Neben Anticholinergika kann Mirabegron, ein sogenannter ß3-Adrenozeptoragonist, eingesetzt werden. Hierunter treten deutlich seltener Mundtrockenheit und Verstopfung auf.
Bei Bedarf können Anticholinergika auch mit Mirabegron kombiniert werden.
Bei nicht zufriedenstellender Besserung der Beschwerden unter medikamentöser Therapie oder bei Auftreten von Nebenwirkungen Injektion von Botulinumtoxin A in den Detrusor vesicae (Blasenmuskel) empfohlen. Die Nebenwirkungen sind in der Regel minimal, teilweise kann es aber zu einer zeitweisen Restharnbildung und dadurch temporär notwendig werdenden Einmalkatheterismus kommen. Die Erfolgsquote liegt bei bis zu 75% und die durchschnittliche Wirkdauer bei 6-9 Monaten. Der Wirkeintritt von Botox erfolgt innerhalb von 14 Tagen nach Injektion. Auch wiederholte Injektionen führen nicht zu einer Reduktion der Wirkung.
Bei Patienten mit therapieresistenter überaktiver Blase kann außerdem eine sakrale Neuromodulation (= Blasenschrittmacher) durchgeführt werden. Dafür werden Stimulationselektroden in die Sakralforamina S2-4 eingeführt. Im Rahmen einer Teststimulationsphase wird der Effekt getestet und bei Erfolg wird der permanente Neurostimulator implantiert. Dieses Verfahren wird allerdings nur an Spezialzentren durchgeführt.
Pharmakotherapie beim Mann
Die Therapie der überaktiven Blase beim Mann ist analog zu der der Frau. Allerdings liegen beim Mann oftmals nicht nur Speicherprobleme (überaktive Blase) sondern aufgrund einer vergrößerten Prostata auch Entleerungsprobleme (sog. obstruktive Beschwerden) wie z.B. erschwerte Miktion, Harnstrahlabschwächung, Nachträufeln, Restharn bzw. Restharngefühl vor. Hier ist bei der Diagnostik besonders darauf zu achten.
Eine medikamentöse Therapie der überaktiven Blase mit Anticholinergika wird wie bei der Frau auch beim Mann empfohlen Allerdings sollten bei Männern unter anticholinerger Therapie regelmäßige Restharnkontrollen erfolgen, da dieser ggf. ansteigen könnte.
Darüber hinaus können auch Mirabegron, Botulinumtoxin und die Neuromodulation bei Männern mit einer überaktiven Blase eingesetzt werden.